Die implizite Volatilität (im Englischen: Implied Volatility, kurz IV) ist für viele Optionshändler ein zentrales Analyseinstrument – und das zu Recht. Es existieren sogar Handelsstrategien, die sich ausschließlich auf die Veränderung der impliziten Volatilität stützen, um daraus Gewinnchancen zu generieren. Dennoch: Für die von mir bevorzugten einfachen Stillhalterstrategien – etwa den Verkauf von Cash Secured Puts – hat die IV eine eher unterstützende Rolle. Sie ist wichtig, aber kein entscheidendes Kriterium.
Was ist implizite Volatilität?
Die implizite Volatilität beschreibt die erwartete Schwankungsbreite eines Basiswertes (z. B. einer Aktie) in der Zukunft. Anders als die historische Volatilität, die auf tatsächlich beobachteten Kursbewegungen basiert, ist die implizite Volatilität ein Marktpreis – sie wird aus den aktuellen Optionspreisen abgeleitet und drückt aus, wie volatil Marktteilnehmer den Basiswert in Zukunft einschätzen.
Ein wichtiger Punkt: Die IV sagt nichts über die Richtung der Kursbewegung aus. Sie beschreibt lediglich, wie stark sich der Kurs eines Basiswertes in einem bestimmten Zeitraum bewegen könnte – unabhängig davon, ob nach oben oder unten.
Die implizite Volatilität wird als annualisierter Prozentsatz angegeben. Eine IV von 30 % bedeutet beispielsweise, dass der Markt (vereinfacht gesagt) eine Kursbewegung von rund ±30 % auf Jahresbasis erwartet. Über einen Monat umgerechnet, entspräche das rund ±8,7 % (auf Basis der Quadratwurzel-Regel).
Hohe IV = teure Optionen
Grundsätzlich gilt: Je höher die erwartete Schwankungsbreite, desto höher die Optionsprämien – und das macht Sinn. Schließlich verlangt ein Verkäufer einer Option eine höhere Prämie, wenn er davon ausgeht, dass die zugrundeliegende Aktie stark schwanken wird. Für den Stillhalter (also den Verkäufer der Option) bedeutet das: Hohe IV = höhere Einnahmen = attraktiverer Handel.
Das klingt zunächst ideal. Doch Vorsicht: Eine hohe IV hat immer einen Grund. Eine Aktie wird nicht zufällig plötzlich als besonders volatil eingeschätzt. Meist stehen bevorstehende Ereignisse wie Quartalszahlen, Fusionen, Übernahmen oder regulatorische Entscheidungen bevor. Wer als Stillhalter handelt, muss sich bewusst machen: Mehr Prämie bedeutet auch mehr Risiko.
Warum IV nicht überbewerten?
Die Versuchung ist groß, nur auf hohe IVs zu setzen, weil man sich dadurch bessere Prämien verspricht. Doch gerade konservative Strategien, die auf Stabilität und Regelmäßigkeit ausgelegt sind, profitieren langfristig von Ruhe, nicht von Nervosität.
Ein Beispiel: Sie handeln eine Aktie wie Coca-Cola. Solide Bilanz, regelmäßige Dividenden, stabile Kursentwicklung. Ihre Strategie sieht vor, Cash Secured Puts zu verkaufen, wenn die IV attraktiv ist – sagen wir über 30 %. Doch Coca-Cola erreicht solche Niveaus vielleicht nur einmal im Jahr. Wenn Sie nur auf das Eintreten dieser Bedingung warten, verpassen Sie möglicherweise viele kleinere, aber risikoarme Chancen.
Mein Vorschlag: Arbeiten Sie mit einem einfachen IV-Korridor. In meinem Handelsuniversum achte ich darauf, dass die IV eines Basiswertes zwischen 20 % und 50 % liegt. Liegt die IV darunter, sind die Prämien meist zu niedrig. Liegt sie darüber, prüfe ich sorgfältig, ob das zusätzliche Risiko gerechtfertigt ist. Über 50 % IV? Lieber Finger weg – hier stimmt entweder etwas mit dem Unternehmen oder dem Gesamtmarkt nicht.
Ein kurzer technischer Einschub: Wo finde ich die IV?
Jede halbwegs professionelle Handelsplattform zeigt die implizite Volatilität von Optionen an – entweder direkt im Optionschain oder als Kennzahl zur Aktie. Einige Plattformen stellen zudem den IV Rank und die IV Percentile bereit – das sind relative Werte, die Ihnen zeigen, ob die aktuelle IV im historischen Vergleich hoch oder niedrig ist.
Exkurs: Die „Griechen“ – müssen wir sie kennen?
Vielleicht haben Sie sich gewundert, warum nach vielen Zeilen zur Optionspraxis Begriffe wie Delta, Gamma, Vega oder Theta kaum aufgetaucht sind. Die sogenannten „Griechen“ sind wichtige Kennzahlen, die beschreiben, wie sich der Preis einer Option verändert, wenn sich bestimmte Faktoren ändern – z. B. der Aktienkurs, die Zeit oder die Volatilität.
Für komplexe Multi-Leg-Strategien oder Delta-Hedging sind diese Größen unerlässlich. Doch in unserem Ansatz – fokussiert auf einfache Stillhaltergeschäfte mit Optionen, die am Geld sind – sind sie nur bedingt relevant.
Ein paar Orientierungshilfen:
- Delta (~0,50 bei ATM-Optionen) zeigt, wie stark sich der Optionspreis bei Kursbewegung des Underlyings verändert.
- Theta misst den täglichen Zeitwertverlust.
- Vega gibt an, wie stark sich der Optionspreis bei Veränderung der IV verändert.
Für unseren Zweck – etwa beim Schreiben von Puts mit kurzem Zeithorizont – sind diese Werte größtenteils in der Optionspreisformel implizit enthalten. Unser Ziel ist es nicht, jede Feinheit zu analysieren, sondern verlässliche Routinen für robuste Trades zu entwickeln.
Fazit: Keep it simple
Die implizite Volatilität ist ein mächtiges Werkzeug – aber kein Allheilmittel. Sie sollten sie kennen, sie verstehen und sie grob einordnen können. Für einfache Stillhalterstrategien reicht es, sich an einem definierten Korridor zu orientieren und im Zweifel die Finger von auffällig volatilen Basiswerten zu lassen.
Merken Sie sich: Sie sind kein Profi-Trader, der auf Mikroveränderungen in der IV spekuliert – sondern ein pragmatischer Einkommensinvestor, der regelmäßig Prämien erzielen möchte.

Haftungsausschluss und Risikohinweis
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Ich übernehme keine Haftung für Vermögensschäden, die dadurch entstehen, dass die Inhalte dieses Artikels als Grundlage für eigene Anlageentscheidungen herangezogen werden. Handeln Sie nur mit Kapital, dessen Verlust Sie sich leisten können. Machen Sie sich mit sämtlichen Risiken des Finanzhandels vertraut.
Stillhaltergeschäfte können zu Nachschusspflichten führen – also zu Verlusten, die über das ursprünglich eingesetzte Kapital hinausgehen. Es wird daher ausdrücklich davon abgeraten, Anlagegelder auf wenige Empfehlungen zu konzentrieren oder Investitionen mit Krediten zu finanzieren.
Der Anteil einzelner Optionskontrakte sollte 10 % des für den Optionshandel vorgesehenen Kapitals nicht überschreiten. Für die Teilnahme am Optionshandel ist die Börsentermingeschäftsfähigkeit erforderlich.
Die in diesem Artikel dargestellten Finanzanalysen ersetzen keine individuelle Anlageberatung und stellen keine Anlageberatung im Sinne des § 32 KWG dar.