Im Optionshandel kehrt diese Frage immer wieder zurück – und sie ist keineswegs trivial: Sollte man Positionen über den Termin der Quartalsergebnisse hinaus halten? Oder ist es besser, dieses Ereignis lieber zu meiden?
Als jemand, der selbst regelmäßig mit Optionen arbeitet, kann ich sagen: Hier gibt es keine Pauschalantwort. Aber es gibt Prinzipien, an denen wir uns orientieren können. Und genau diese möchte ich mit Ihnen teilen.
Warum Quartalsergebnisse so eine große Sache sind
Wenn Unternehmen ihre Zahlen vorlegen, wird es spannend – für Investoren wie für Trader. Denn in der Regel reflektiert der Aktienkurs langfristig den Gewinntrend eines Unternehmens. Stabile, wachsende Gewinne führen meist zu steigenden Kursen. Volatile oder gar rückläufige Gewinne sorgen hingegen für Unsicherheit – und die mag der Markt bekanntlich gar nicht.
Vor der Veröffentlichung herrscht deshalb eine Art Schwebezustand. Wird das Unternehmen die Erwartungen übertreffen – oder enttäuschen? Und wie wird der Markt darauf reagieren?
Die Reaktionen können extrem unterschiedlich ausfallen:
- Positive Überraschung: Die Aktie springt nach oben.
- Negative Überraschung: Sie stürzt ab.
- Erwartung erfüllt: Der Kurs bleibt weitgehend stabil.
Manchmal ist diese Reaktion sogar völlig irrational. Dann steigen Aktien trotz schlechter Zahlen – oder fallen trotz Rekordergebnissen. Willkommen an der Börse.
Die Rolle der impliziten Volatilität
Ein zentraler Punkt beim Thema Quartalsergebnisse ist die sogenannte implizite Volatilität (IV). Sie misst die erwartete Schwankungsbreite – und sie steigt in den Wochen vor den Zahlen fast immer spürbar an. Warum? Weil Unsicherheit nun mal teuer ist.
Kurz vor dem Termin ist die IV oft auf einem Hoch – und fällt unmittelbar nach der Veröffentlichung rapide wieder ab. Dieser Effekt nennt sich Volatilitäts-Crush.
Das Entscheidende ist: Optionen sind bei hoher IV teuer. Bei fallender IV werden sie schlagartig günstiger – unabhängig davon, ob sich der Aktienkurs stark bewegt oder nicht.
„Ich verkaufe vorher – und kaufe danach günstiger zurück.“ Klingt schlau, oder?
Vielleicht denken Sie jetzt: „Perfekt! Ich verkaufe also kurz vor den Quartalsergebnissen eine Option – wenn sie teuer ist – und kaufe sie danach billiger zurück. Das ist ein sicherer Gewinn.“
Ja, das klingt auf dem Papier clever – ist aber riskant.
Denn der Optionspreis besteht nicht nur aus Volatilität, sondern auch aus dem inneren Wert, der stark von der Kursbewegung der Aktie abhängt. Und genau hier lauert das Problem: Wenn sich die Aktie massiv bewegt – in die eine oder andere Richtung – kann der „Gewinn“ aus dem Volatilitätscrash schnell aufgefressen oder sogar übertroffen werden. In der Praxis geht der Schuss dann oft nach hinten los.
Also besser raus vor den Zahlen?
Die Frage, ob man vor Earnings glattstellen sollte, hängt stark von Ihrer Strategie ab.
Nehmen wir das Beispiel eines Traders, der regelmäßig Cash-Secured Puts oder Covered Calls schreibt – also Optionen mit Absicherung durch den entsprechenden Aktienbestand.
In diesem Fall ist das Risiko bekannt und begrenzt:
- Wird der Put ausgeübt, kaufen Sie 100 Aktien – was ohnehin eingeplant war.
- Wird der Call ausgeübt, verkaufen Sie Aktien – was ebenfalls zur Strategie gehört.
Selbst ein Kursrutsch ist in gewisser Weise einkalkuliert. Und durch Techniken wie das Rollen der Position (also das Verschieben auf einen späteren Verfallstermin) können unerwünschte Bewegungen oftmals gemildert oder ausgeglichen werden.
Risiken differenziert betrachten
Natürlich: Auch solide Aktien können bei den Quartalszahlen abstürzen. Aber schauen Sie sich einmal die Historie „Ihrer“ Aktie an. Reagiert sie auf Earnings regelmäßig mit Bewegungen von mehr als 10 %? Oder bleibt sie meist innerhalb engerer Bahnen?
Diese Rückschau ist Gold wert – und kann Ihnen bei der Entscheidung helfen, ob Sie das Ereignis aktiv umgehen oder bewusst in Ihre Planung einbeziehen.
Vermeiden ist nicht immer möglich
Ein wichtiger Punkt: Wenn Sie Optionen regelmäßig rollen, werden Sie zwangsläufig in das nächste Earnings-Fenster hineinrutschen. Denn Quartalsergebnisse kommen – nun ja – quartalsweise.
Und wenn Sie Ihr Universum zu stark einschränken, weil Sie nur „zahlenfreie“ Aktien handeln wollen, kann das Ihre Handelsmöglichkeiten erheblich beschneiden. Das gilt besonders, wenn mehrere Ihrer Basiswerte ihre Zahlen im selben Zeitraum veröffentlichen.
Das Fazit aus meiner Praxis
Für mich persönlich steht fest: Quartalsergebnisse sind kein Grund, einen sinnvollen Trade nicht einzugehen. Warum?
- Weil ich auf Unternehmen mit stabilen Fundamentaldaten setze.
- Weil ich genügend Sicherheitspuffer einplane – etwa durch Cash für eine Put-Ausübung.
- Und weil ich gelernt habe, dass Flexibilität – zum Beispiel durch Rollen – oft die bessere Antwort auf Volatilität ist als bloße Vermeidung.
Wenn Sie Ihre Strategie sauber aufsetzen, Ihre Positionen kennen und Ihre Risiken aktiv steuern, dann sind Earnings nicht Ihr Gegner – sondern ein Bestandteil des Spiels.
Zum Schluss ein Rat aus der Praxis
Wer Optionen handelt, sollte sich mit Volatilität und Ereignisrisiken wie Quartalsergebnissen auskennen – keine Frage. Aber lassen Sie sich nicht von der Angst vor Bewegung lähmen. Optionen leben von Bewegung. Und wer weiß, wie man damit umgeht, hat ein mächtiges Instrument zur Hand.
Sie müssen nicht jede Earnings-Saison meiden. Aber Sie sollten sie verstehen – und vorbereitet sein.