Was steckt hinter Section 899 des US-Haushaltsentwurfs?

Im aktuellen Entwurf des von Donald Trump unterstützten US-Haushaltsgesetzes, dem sogenannten „One Big Beautiful Bill“, verbirgt sich mit Section 899 eine bislang wenig beachtete, jedoch potenziell folgenreiche Regelung. Diese Passage erlaubt es dem US-Finanzministerium, eine Strafsteuer auf passive Einkünfte ausländischer Investoren in den USA zu erheben – darunter Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren.

Die sogenannte „revenge tax“ (deutsch: „Rachesteuer“) richtet sich gezielt gegen Staaten, die aus US-amerikanischer Sicht „unfaire“ oder diskriminierende Steuermodelle gegenüber amerikanischen Unternehmen einsetzen – insbesondere in Bezug auf die viel diskutierten Digitalsteuern, wie sie in mehreren EU-Staaten zur Anwendung kommen und US-Technologiekonzerne wie Apple, Google, Amazon oder Meta betreffen.


Mechanismus und Zielsetzung von Section 899

Section 899 räumt dem US-Finanzministerium eine weitreichende Kompetenz ein: Es kann Staaten, deren Steuerpolitik als diskriminierend eingestuft wird, auf eine Sanktionsliste setzen. Im Anschluss würden alle passiven Einkünfte, die Staatsbürger, Unternehmen oder sogar staatliche Institutionen (wie Zentralbanken oder Staatsfonds) aus diesen Ländern in den USA erzielen, mit einem Strafzuschlag von bis zu 20 % belegt.

Die Besteuerung soll progressiv erfolgen – beginnend bei 5 %, jährlich steigend in 5-Prozentpunkten, bis zur maximalen Belastung von 20 %. Eine Ausnahme bilden lediglich Zinszahlungen auf US-Staatsanleihen, das sogenannte „portfolio interest“. Doch auch hier gibt es juristische Graubereiche und Unsicherheiten in der Auslegung.


Mögliche Folgen: Vom Handelskrieg zum Kapitalkrieg

Mit Section 899 wird aus einem lang schwelenden steuerpolitischen Streit zwischen den USA und ihren Handelspartnern ein potenziell explosiver Kapitalkonflikt. Während Handelskriege bislang vor allem mit Zöllen geführt wurden, zielt diese Maßnahme auf das globale Finanzsystem und die Kapitalströme – eine völlig neue Dimension wirtschaftspolitischer Eskalation.

Der Ökonom George Saravelos von der Deutschen Bank bringt es auf den Punkt:

„Section 899 stellt das offene Prinzip der US-Kapitalmärkte infrage, indem ausländisches Kapital explizit zur Verhandlungstaktik gemacht wird.“


Die konkreten Risiken im Überblick

1. Kapitalabzug aus den USA
Die Drohung mit Strafsteuern könnte internationale Investoren – darunter Pensionsfonds, Banken, Staatsfonds und Zentralbanken – dazu bewegen, sich aus US-Investments zurückzuziehen. Bereits jetzt zeigen Daten der US-Finanzbehörden einen Rückgang bei ausländischen Beständen an US-Staatsanleihen.

2. Höhere Finanzierungskosten für die US-Regierung
Weniger Nachfrage nach US-Anleihen führt zu steigenden Zinssätzen, was die Refinanzierung des US-Haushalts verteuert und langfristig auch die Staatsverschuldung erhöhen kann.

3. Abwertung des US-Dollars
Ein Rückgang ausländischer Kapitalzuflüsse könnte den Wechselkurs des Dollars unter Druck setzen. Eine schwächere US-Währung würde Importe verteuern und könnte die Inflation weiter anheizen.

4. Belastung für ausländische Unternehmen in den USA
Auch ausländische Unternehmen mit US-Geschäft, wie beispielsweise InterContinental Hotels, Nestlé oder Siemens, wären betroffen, wenn ihre Herkunftsländer auf der Liste „diskriminierender Staaten“ landen.

5. Gefahr für die globale Finanzstabilität
Section 899 sendet ein Signal der Unsicherheit an internationale Kapitalmärkte. In der Folge könnte es zu einer Neuorientierung globaler Investitionsströme kommen – etwa hin zu Märkten mit stabilerem regulatorischem Umfeld wie der EU oder asiatischen Finanzzentren.


Selbstschädigung der USA?

Viele Experten warnen davor, dass Section 899 die USA langfristig stärker belasten könnte als ihre Handelspartner. Die Vereinigten Staaten sind auf den Zufluss internationalen Kapitals angewiesen – zur Finanzierung ihrer Defizite, zur Stärkung ihrer Märkte und zur Stabilisierung des Dollars. Eine aggressive Steuerpolitik, die Investoren abschreckt, gefährdet diese Grundlage.

Zudem könnte die Maßnahme internationale Gegenreaktionen auslösen: Europäische Staaten, China oder Kanada könnten Gegenmaßnahmen ergreifen, etwa durch Einschränkungen bei Investitionen amerikanischer Unternehmen oder eigene Strafsteuern.


Fazit: Ein gefährlicher Präzedenzfall in der internationalen Steuerpolitik

Section 899 ist mehr als eine steuerrechtliche Klausel im Haushaltsentwurf – sie ist ein machtpolitisches Instrument mit potenziell weitreichenden Folgen für die globalen Finanzmärkte. Sollte sie in Kraft treten, könnte sie den amerikanisch-europäischen Steuerstreit eskalieren, das Vertrauen in die Stabilität der US-Kapitalmärkte untergraben und letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft schwächen.

Ein Kapitalkrieg, wie ihn Experten zunehmend befürchten, hätte nicht nur ökonomische, sondern auch geopolitische Auswirkungen – mit unabsehbaren Konsequenzen für das weltweite Finanzsystem.

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