Eine Analyse zur aktuellen BaFin-Studie

Die jüngste Untersuchung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schlägt hohe Wellen: Demnach erlitten in den Jahren 2019 bis 2023 rund 74 Prozent der privaten Anleger mit sogenannten Turbo-Zertifikaten Verluste – im Durchschnitt in Höhe von etwa 6.400 Euro je Anleger. Der Gesamtverlust belief sich auf mehr als 3,4 Milliarden Euro. Diese Zahlen werfen Fragen auf: Wie verlässlich sind die Daten? Was steckt hinter den Warnungen? Und welche Konsequenzen sind zu erwarten?

Ein Blick in die Funktionsweise dieser Produkte und die Ergebnisse der Studie bringt mehr Klarheit.


Was sind Turbo-Zertifikate?

Turbo-Zertifikate – auch Hebelzertifikate genannt – zählen zur Kategorie der strukturierten Derivate. Sie ermöglichen es Anlegern, überproportional an Kursbewegungen eines Basiswerts (z. B. Aktien, Indizes, Rohstoffe oder Währungen) zu partizipieren. Dabei kommt ein Hebelmechanismus zum Einsatz, durch den bereits minimale Preisänderungen des Basiswerts zu hohen Gewinnen – oder ebenso hohen Verlusten – führen können.

Turbo-Zertifikate unterscheiden sich nach Long- und Short-Varianten: Mit einem Long-Zertifikat spekulieren Sie auf steigende Kurse, mit einem Short-Zertifikat auf fallende. Beide Varianten enthalten in der Regel eine sogenannte Knock-out-Schwelle. Wird diese Schwelle berührt oder unterschritten, verfällt das Produkt sofort – mit meist vollständigem Verlust des eingesetzten Kapitals.

Fazit: Turbo-Zertifikate sind keine klassischen Anlageprodukte, sondern Instrumente für kurzfristige Spekulation mit extrem hohem Risiko.


Die BaFin-Studie: Zahlen, Daten, Fakten

Für die Analyse wurden von der BaFin über 113 Millionen Transaktionen deutscher Privatanleger im Zeitraum von 2019 bis 2023 ausgewertet. Das Datenmaterial stammt aus Transaktionsdatenbanken von Banken und Brokern, was die Aussagekraft der Untersuchung erheblich stärkt.

Die zentralen Ergebnisse im Überblick:

  • 74,2 % der Anleger erlitten Verluste mit Turbo-Zertifikaten.
  • Durchschnittlicher Verlust pro Anleger: 6.358 Euro
  • Gesamtsumme aller Verluste: über 3,4 Milliarden Euro
  • 70 % der Zertifikate wurden kürzer als 24 Stunden gehalten
  • Häufiger Handel führte signifikant häufiger zu Verlusten

Besonders bemerkenswert: Auch Anleger mit häufigem Handel und höherem Einsatz konnten ihre Verluste kaum vermeiden – ein Hinweis darauf, dass auch vermeintlich erfahrene Nutzer die Risiken häufig unterschätzen.


Warum verlieren so viele Anleger?

Die Ursachen für die auffällige Verlustquote sind vielschichtig und reichen von psychologischen bis hin zu strukturellen Faktoren:

  1. Mangelndes Produktverständnis: Viele Kleinanleger verstehen die komplexe Funktionsweise von Hebelzertifikaten – insbesondere die Knock-out-Mechanismen – nicht vollständig.
  2. Gier und Emotionalität: Die Aussicht auf schnelle Gewinne verleitet zu riskantem Verhalten. Dabei wird die Verlustwahrscheinlichkeit systematisch unterschätzt.
  3. Extrem kurzfristiger Handel: Die meisten Zertifikate werden binnen weniger Stunden wieder verkauft. Dieses kurzfristige Trading erhöht die Volatilität und verschärft das Risiko.
  4. Keine professionelle Beratung: Der Erwerb erfolgt meist über Online-Plattformen ohne persönliche Anlageberatung. Die Eigenverantwortung liegt vollständig beim Anleger.
  5. Asymmetrie zugunsten der Emittenten: Emittenten verdienen unabhängig vom Markterfolg der Anleger, unter anderem durch Spreads, Gebühren und Produktstrukturierungen. Dies führt zu einem systematischen Vorteil der Anbieter.

Reaktion der BaFin: Neue Regeln geplant

Die BaFin hat in Reaktion auf die Studienergebnisse eine Konsultation angestoßen und plant weitreichende Regulierungsmaßnahmen:

  • Verpflichtende Risikowarnungen: Anbieter sollen künftig deutlich machen, dass sieben von zehn Kleinanlegern mit diesen Produkten Verluste erleiden.
  • Verbot von Kaufanreizen: Monetäre Anreize wie Boni, Cashback-Programme oder reduzierte Ordergebühren zum Handel mit Hebelprodukten sollen untersagt werden.
  • Wissenstests für Anleger: Bevor ein Kauf möglich ist, soll ein verpflichtender Wissenstest durchgeführt werden, um die Eignung des Anlegers zu prüfen. Dieser soll regelmäßig wiederholt werden.

Diese Maßnahmen befinden sich derzeit in der Anhörungsphase. Ein Inkrafttreten ist voraussichtlich für Anfang 2025 geplant.


Fazit: Hochspekulativ und für Kleinanleger kaum geeignet

Die Studienergebnisse und die daraus abgeleiteten Maßnahmen der BaFin verdeutlichen: Turbo-Zertifikate sind kein geeignetes Instrument für den langfristigen Vermögensaufbau. Die hohe Verlustquote – sowohl bei unerfahrenen als auch bei aktiven Anlegern – spricht eine deutliche Sprache.

„Selbst für erfahrene Privatanleger sind Turbo-Zertifikate hochriskant. Die hohen Verluste lassen befürchten, dass viele die Risiken nicht richtig einschätzen.“
Dr. Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor der BaFin


Tipp für Anleger: Wissen schützt vor Verlusten

Sollten Sie sich dennoch für den Handel mit Turbo-Zertifikaten interessieren, gilt: Informieren Sie sich intensiv über Funktionsweise, Hebelwirkungen und mögliche Verlustszenarien. Prüfen Sie kritisch, ob Ihr persönliches Risikoprofil mit solchen Produkten vereinbar ist.

Für die große Mehrheit der Privatanleger bieten sich allerdings deutlich risikoärmere Alternativen, etwa breit gestreute ETFs oder konservative Anleihen. Letztlich bleibt festzuhalten: Wer auf Turbo-Zertifikate setzt, spielt mit hohem Einsatz – oft auf Kosten des eigenen Vermögens.

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